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Was die Seele nicht versteht

Letzte Woche war ich an einem Ort, wo „Ewigkeit“ gesungen wurde. Passender hätte es nicht sein können. Ich selbst war diesmal in keiner akuten Krise. Es gibt zwar Höhen und Tiefen und ich habe nach wie vor meine Herausforderungen. Aber die Dramatik von damals ist verblasst.

Ganz anders muss es wohl einer befreundeten Familie ergehen, die vor kurzem ihren 18-jährigen Sohn verloren hat. Wenn das keine Krise ist, dann weiß ich auch nicht. Ich konnte nicht wirklich begreifen, was hier passiert ist. Wie soll man auch begreifen, dass ein junger Mann geht, der gerade erst erwachsen geworden ist?

Gleichzeitig mischt sich die eigene Geschichte hinein. Ich sehe mich in einem bunten Sommerkleid. Es war auch im Juli. Es war heiß. Umringt von unzähligen Menschen. Viele halten Regenschirme in ihren Händen. Nicht gegen die Nässe, sondern gegen die sengende Hitze. Am Friedhof gibt es keinen Schatten. Warum hat sie gehen müssen? Ich weine.

Zurück zu „Ewigkeit“. Die hat keinen Anfang und kein Ende, heißt es. Mir kommt es trotzdem so vor, als hätte sie für jenen jungen Mann gerade erst begonnen. Und dieses Lied wird gesungen. Ich liebe dieses Lied immer noch. Es gibt kein passenderes an diesem Tag. Keines, das mir in den Sinn käme.

Heute bin ich schwarz gekleidet. Ich muss keine Freude, keine Dankbarkeit ausstrahlen. Ich gehe die Straße hinunter. Am Weg begegnen mir junge Menschen. Auch in schwarz. Waren sie Freunde? Waren sie Schulkollegen? Aus seiner Gemeinde? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir das gleiche Ziel haben.

Wenig später erhalte ich ein Programm, die Liedtexte und ein Sterbebild.

„Die Gott lieben werden sein wie die Sonne, die aufgeht in ihrer Pracht.“

Richter 5:31

steht darauf. Ich sehe ein Bild von ihm. Blicke in das Gesicht eines freudestrahlenden Teenagers. Mich überkommt die Fassungslosigkeit darüber, dass er gehen musste. Ich bekomme das, was hier geschieht, nicht ganz zusammen. Es wirkt so falsch. Aber es ist Wirklichkeit. Ich kann es nicht leugnen. All die Menschen hier haben es auch gehört. Es muss also tatsächlich passiert sein.

Ich suche mir einen freien Platz. Wir setzen uns. Ich schaue mich um, frage mich, wer ihn aller gekannt hat. Versuche mir ein Bild von seinem Leben und seinem Umfeld zu machen.

Da möchte ein Mann an mir vorbei. Entschuldigt sich. Ich ziehe die Füße ein, lasse ihn durch den engen Gang. Während er vorübergeht, schaue ich in sein Gesicht. Ich kenne ihn. Er trägt ein rotes Hemd. „Da ist er hier wohl der Einzige“, denke ich bei mir.

Seine Gesichtszüge sind sanft und freundlich. Da dämmert mir: Vor fünf Jahren hat er meinen Sohn zum Grab getragen. Da ist sie wieder, die eigene Geschichte. Das Unfassbare, das nicht einfach verschwindet, nur weil man es nicht fassen kann.

Ich bin heute in keiner Krise. Und doch ist es ein Tag für Klagelieder. Sei es die Klage für Freunde, deren Krise ich mittrage. Oder die Trauer über vergangene Geschehnisse, die in einer neuen Runde wiederkommt, weil mich der Tod erneut konfrontiert. Beides vermischt sich an diesem Tag. Ich kann es nicht voneinander trennen. Und das muss ich nicht. Also singe ich Klagelieder und weine. Mal für meine Freunde, mal für mich selbst. Und ich bete. Ich gebe die Last zurück an Gott, der sie mir geben hat, um sie eine kurze Weile mitzutragen. Und so bekomme ich langsam eine Idee davon, wie Fürbitte gedacht sein könnte.

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